Bis 2030 braucht Österreich 75.000 zusätzliche Pflegerinnen und Pfleger. Doch der Nachwuchs bleibt aus. Arbeitsbedingungen und Bezahlung sind so schlecht, dass jede vierte Pflegekraft sich überlegt, den Job zu wechseln. Nur faire Löhne, mehr Freizeit und Anreize für den Nachwuchs können die Pflegekrise abwenden.
Die Lage in den Krankenhäusern der Republik hat sich zwar entspannt. Zumindest gemessen an der Extremsituation zum Höhepunkt der Corona-Krise. Das bedeutet aber keineswegs, dass sie nicht mehr angespannt ist: Pflegerinnen und Pfleger arbeiten seit Jahren am Limit. Es fehlt an Nachwuchs und viele wollen aufhören.
Die Pflegekrise beginnt gerade erst
Zu Beginn der Coronakrise wurden sie beklatscht, schlussendlich hat sich sogar die Bundesregierung medienwirksam doch noch bereiterklärt, ihnen 500 Euro Bonus auszuzahlen. Die Krankenpflegerinnen und -pfleger standen in den letzten Monaten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Doch an ihren Arbeitsbedingungen hat sich nichts verbessert. Besonders unter Druck stehen die Pflegekräfte durch schlechte Betreuungsschlüssel – in Österreich kommen sieben Pflegekräfte auf 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner – in der Schweiz liegt dieser Schlüssel bei 17 zu 1.000. Das führt zu langen, extrem anstrengenden Schichtdiensten.
Jede und jeder vierte will aufhören
Gleichzeitig sind täglich mehr Menschen auf Pflege angewiesen, denn es gibt immer mehr Alte. Bis 2030 braucht Österreich mindestens 75.000 zusätzliche Pflegerinnen und Pfleger. Und am schlechten Betreuungsschlüssel hat sich dann noch gar nichts geändert. Die Zahl ist also das unterste Limit. Dabei ist die Gefahr groß, dass Pflegekräfte in andere Branchen abwandern. Die Bezahlung ist schlecht, die Belastung groß. Dementsprechend frustriert sind viele. Nicht wenige spielen mit dem Gedanken aufzuhören. Bei einer Befragung der Arbeiterkammer aus dem Jahr 2019 gaben 25 Prozent an, regelmäßig an Jobwechsel zu denken, 5 Prozent sogar täglich. Besonders die Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger kritisieren die hohe Arbeitsbelastung, mangelnde Sicherheit, ob Dienstpläne eingehalten werden können, und eine schlechte Work-Life-Balance.
Nachwuchs fehlt
Wenig überraschend fehlt der Nachwuchs. Denn die Jungen wissen, was sie erwartet. Die Arbeiterkammer Niederösterreich befragte Jugendliche zwischen 14 und 18, warum sie keinen Pflegeberuf ergreifen würden. 46 Prozent geben an, sich vor Blut, Urin und Kot zu ekeln. Aber mit 43 Prozent folgt als Grund bereits die hohe Arbeitsbelastung, mit 37 Prozent die schlechte Bezahlung bzw. die ungünstigen Arbeitszeiten.
Wenn Arbeitsminister Martin Kocher Pflegerinnen und Pflegern über die ZiB 2 ausrichten lässt, dass sie halt nicht genügend gebraucht werden und zu austauschbar sind, um mehr zu verdienen, macht das die Situation nicht besser. Mitte Jänner wurde er auf die niedrigen Löhne und langen Arbeitszeiten angesprochen: „Wie werden Löhne bestimmt? Der Ökonom würde sagen, es gibt so etwas wie Angebot und Nachfrage.“
Pflegekrise verhindern
Eine krasse Fehleinschätzung, denn der Bedarf nach Pflegerinnen und Pflegern steigt. Um trotzdem nicht mehr zahlen zu müssen, plant die Wirtschaftskammer, Pflegekräfte aus den Philippinen einzufliegen. Man hofft, sie würden sich eher mit den schlechten Bedingungen abfinden.
Die Gewerkschaft fordert kürzere Arbeitszeiten, mehr Urlaub und bessere Bezahlung für Pflegerinnen und Pfleger. Außerdem soll ein Ausbildungsfonds von Bund, Ländern und kommerziellen Pflegeanbietern für faire Bezahlung in allen Phasen der Ausbildung sorgen. Denn eines ist klar: Wenn sich nichts ändert, wird die Pflegekrise Österreich noch härter treffen, als Corona.