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Neutralität statt Nato-Beitritt: Frieden für Europa, Sicherheit für Österreich!

Rund um den Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine diskutieren österreichische Politiker:innen und Medien um den Wert der Neutralität. Sie sei aus der Zeit gefallen und Friedenspolitik sei mit ihr nicht machbar. Manch einer würde Österreich künftig gerne im geopolitischen Block der NATO sehen. Was übersehen wird: Die Neutralität ist aufgrund der speziellen geografischen wie politischen Situation Österreichs ein Garant für unsere Sicherheit – und kann in Krisenzeiten ein wertvoller friedenspolitischer Beitrag sein.  


Stichwort
Die Kolumne von Paul Stich,
Vorsitzender der Sozialistischen Jugend Österreich.

“Krieg ist ein Zustand, bei dem Menschen aufeinander schießen, die sich nicht kennen. Auf Befehl von Menschen, die sich wohl kennen, aber nicht aufeinander schießen.” Wie kein Zweiter bringt George Bernard Shaw die Absurdität von Kriegen auf den Punkt. Krieg ist für die einen, wie für den russischen Präsidenten Putin, ein vermeintlich “legitimes” Mittel der Geopolitik. Für die anderen ist er ein Geschäft. 

Krieg ist aber vor allem das maximale Grauen für alle, die fernab von jeglichen Kommando-Tischen oder Fernsehstudios direkt davon betroffen sind. Seit rund einem Jahr tobt ein Krieg in der Ukraine. Ein Zustand, den sich vor wenigen Jahren nur die wenigsten Menschen vorstellen konnten und der uns Tag für Tag in Erinnerung ruft, warum nach Willy Brandt der Frieden nicht alles, aber ohne Frieden alles nichts ist.

Der russische Imperialismus ist nichts Neues

Der russische Angriffskrieg reiht sich ein in eine Reihe zahlreicher früherer Kriege Russlands (etwa 2008 in Georgien), der USA (etwa 2003 im Irak) oder anderer geopolitisch führender Staaten. Selten hat es in den vergangenen Jahren aber Kriege gegeben, in denen die Kriegsschuld so eindeutig benannt werden konnte, wie in diesem Fall. Das Vorgehen Russlands unter seinem Präsidenten Wladimir Putin ist ein barbarischer Akt gegen die ukrainische Bevölkerung. Der Angriff auf die Ukraine ist getrieben durch einen defensiven Imperialismus, der den russischen Einfluss auf die Ukraine erhalten soll. Aus der Sicht Putins sei der Krieg notwendig, da kein anderes Mittel den eigenen Einfluss auf die Ukraine mehr sicherstellen könne. 

Man muss diesen Punkt nicht gutheißen, geschweige denn verstehen. Als Antimilitarist muss man ihn sogar kritisieren und verurteilen, wie es auch der Autor dieser Zeilen tut. Die Differenzierung der beiden Ebenen (der Verurteilung der Tat bei gleichzeitiger Untersuchung des Auslösers) ist jedoch elementar. Denn sie eröffnet gerade einem neutralen Staat wie Österreich eine Handlungsperspektive. Den Auslöser und die Frage über die Hintergründe des Krieges nicht zu beleuchten, verengt die Perspektive auf der Suche nach einer Lösung. Diese sollte in erster Linie darin bestehen, dass der Krieg in der Ukraine und das unsägliche Leid für die Zivilbevölkerung vor Ort so rasch wie möglich ein Ende finden.

Die Bedeutung neutraler Staaten in Kriegsfällen

Neutralen Staaten kommt in Kriegen also eine besondere Rolle zu. Denn klar scheint nach einem Jahr Krieg auch: Eine rein militärische Lösung des Ukraine-Krieges ist weder realistisch noch besonders wünschenswert! Das würde nämlich bedeuten, dass der Krieg entweder mit dem Fall (und der kompletten Zerstörung) der Ukraine endet. Oder aber mit der (rational kaum vorstellbaren) allumfassenden militärischen Niederlage der Atommacht Russland. 

Manche Kommentator*innen meinen, dass Letztgenanntes die anzustrebende Variante sei und Verhandlungen in diesem Krieg unter keinen Umständen eine Option darstellen dürften. Wir sollten uns jedoch darüber im Klaren sein, was das bedeutet.

Ein Krieg, in dem möglicherweise über einen langen Zeitraum riesige Gebiete mitten in Europa zur Gänze in Schutt und Asche gelegt werden – mit allen tragischen Folgen für die ukrainische (oder auch die russische) Bevölkerung – das muss mit allen Kräften verhindert werden!

Bei allen Debatten über das Liefern von Waffen wie Panzern oder Kampfjets geht es also vorrangig darum, die eigene Position so weit zu verbessern, dass die eigene Verhandlungsposition für einen unbestimmten Zeitpunkt gestärkt wird. Eine reine und stetige Eskalation in Worten und Waffen mag sich gut verlaufen lassen. Eine Lösung zur Beendigung des Krieges liefern sie alleine nicht.

Wie Österreich seine Neutralität im Ukraine-Krieg einsetzen könnte

An dieser Stelle kommen blockfreie, militärisch neutrale Staaten als Vermittler und mögliche Brückenbauer ins Spiel. Sie sind es, die die Gesprächskanäle aufrechterhalten und einen Beitrag dazu leisten können. Nämlich indem sie nach möglichen Kompromissen, Verhandlungslösungen oder zumindest Abkommen über Feuerpausen Ausschau halten. 

Im Fall des Ukraine-Krieges haben sich die Regierungen der Türkei und Israels (und nicht die österreichische) als teilweise von beiden Seiten akzeptierte Vermittler etabliert. Dennoch ist die österreichische Regierung weiter gefordert, ihr Möglichstes zu tun, um ebenso einen Beitrag zum Frieden zu leisten. 

Zusätzlich ist es von unermesslicher Bedeutung, friedenspolitische Bemühungen nicht durch symbolpolitische Maßnahmen oder Aussagen zu gefährden: So mag die von einigen geforderte Ausladung der russischen Delegierten von der OSZE-Tagung (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), die Ende dieser Woche in Wien stattfindet ein starkes Signal sein, hilft den vom Krieg betroffenen Personen in der Ukraine aber nicht weiter.

Lieber 100 Stunden erfolglos zu verhandeln, als eine Sekunde zu schießen“ forderte der deutsche Kanzler Helmut Schmidt einst ein. Um das tun zu können, braucht es auch einen Gesprächskanal.

Wer wenn nicht ein neutraler Staat wie Österreich, könnte hier mit allen Mitteln versuchen, Kommunikationskanäle zu öffnen, Gespräche zwischen den Kriegsparteien zu ermöglichen und dabei eine friedenspolitische Perspektive einzunehmen? Eine Perspektive, die auf eine möglichst rasche Beendigung des Krieges abzielt. Dies könnte, im Gegensatz zu symbolischen Lieferungen von Helmen oder ähnlichen Gütern in die Ukraine, einen wirklichen Unterschied machen!

Kluge Neutralitätspolitik, statt Doppelmoral

Österreich macht es sich dabei auch nicht “zu bequem”, wie einige andere fast schon zynisch meinen. Ganz im Gegenteil, mit einer klugen Neutralitätspolitik würde Österreich dazu beitragen, aus seiner eigenen geografischen Lage auch für umliegende Staaten einen Mehrwert durch die friedensschaffenden Möglichkeiten eines neutralen Staates herauszuholen.

Noch einmal sei betont: Dabei geht es in keinster Weise darum, die Position des Aggressors (in diesem Fall Putins) zu begrüßen oder zu teilen. Es geht vielmehr darum, eine Perspektive für einen Ausweg zu schaffen. Einen Ausweg, der nicht das Leid von allen direkt betroffenen Personen in die Unendlichkeit verlängert. Ganz abseits davon: Würde Österreich alle Gesprächskanäle zu Staaten (und ihren Verbündeten), die in anderen Ländern intervenieren oder anderweitig unerlaubten Einfluss ausüben, abbrechen, blieben wohl kaum mehr Länder übrig, mit denen man kommunizieren könnte.

Während die einen (Putin) für ihre Interventionen (zurecht) kritisiert werden, sind die anderen weiterhin “wichtige Partner” (Erdogan). Diese Doppelmoral ist zum Kotzen. Sie aber zeigt die geopolitische Dimension des Ukraine-Krieges deutlich auf.

Neutralität statt Nato-Beitritt: Frieden für Europa, Sicherheit für Österreich!

Die österreichische Neutralität kann also einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, um auf internationaler Ebene friedensstiftend zu wirken. Doch auch in Bezug auf die eigene Sicherheit ist sie für Österreich ein wichtiger Baustein. Gegner*innen der Neutralität führen gerne einen möglichen russischen Angriff auf Österreich als Grund an, um der NATO beizutreten.

Österreich grenzt allerdings beinahe vollständig an NATO-Staaten. Die Gefahr einer feindlichen Invasion, ohne dass davor bereits ein NATO-Staat angegriffen und der Bündnisfall aktiviert wird (was den 3. Weltkrieg auslösen könnte), ist daher sehr gering. Zum anderen schafft es Österreich durch die Neutralität, sich dem globalen Block-Denken zu entziehen. Die Gefahr, in einem großen Krieg mitgerissen und ebenso zum Kriegsschauplatz zu werden, ist durch die Neutralität ebenso minimiert.

Österreichs Neutralität bietet eine wesentliche und fast einzigartige Möglichkeit, um über die eigenen Grenzen heraus friedenspolitisch tätig zu sein. Dazu ist sie ein wesentlicher Baustein unserer Sicherheit. Sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen und Österreich zum Teil eines globalen Militärbündnisses zu machen, wäre verantwortungslos und eine vergebene Chance. Es gilt stattdessen, sie mit aktiver Friedenspolitik, statt mit am Ende des Tages wirkungslosen Gesten zu füllen.

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