Bisher regelten dubiose Geheimpapiere die Koalitionsabkommen von Türkis-Blau und Türkis-Grün. In sogenannten „Sidelettern“ haben Kurz, Strache aber auch Nehammer und Kogler schon vor den Koalitionsverhandlungen fixe Abläufe und zukünftige Posten festgeschrieben. Auch nach der Niederösterreich-Wahl bekamen viele Beobachter:innen das Gefühl, die Koalitionsverhandlungen von Mikl-Leitner (ÖVP) und Landbauer (FPÖ) seien von vornherein ein abgekartetes Spiel gewesen. Dieser Hinterzimmerpolitik will Hans Peter Doskozil (SPÖ) jetzt ein Ende setzen. Sollte er der neue Kanzlerkandidat für die SPÖ werden, will er die Parteimitglieder über zukünftige Koalitionsabkommen mitbestimmen lassen.
Ab dem Zeitpunkt, bei dem es nach den Wahlen zu Koalitionsverhandlungen zwischen Parteien kommt, hat die Bevölkerung auf den Inhalt keinen Einfluss mehr. Politikerinnen und Politiker vergessen während der Gespräche mit den potentiellen Koalitionspartner:innen oft die Versprechen, die sie ihren Wähler:innen vor den Wahlen gegeben haben. Udo Landbauer (FPÖ) liefert ein aktuelles Beispiel. Nach den niederösterreichischen Landtagswahlen 2023 und den anschließenden Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP konnt er sich nicht mehr an seine Aussage am Wahlabend erinnern, in der er behauptet hat, dass er Johanna Mikl-Leitner „nie zur Landeshauptfrau machen wird“.
Geheime Absprachen
Oft kommt es aber schon vor den Wahlen zu geheimen Nebenabsprachen: Das Bekanntwerden eines Sideletters aus dem Jahr 2017 sorgte Anfang 2022 für einen nationalen Skandal: In diesen Geheimpapieren haben der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gemeinsam mit Heinz Christian Strache (FPÖ) künftige Postenschacher-Pläne niedergeschrieben. Und zwar bis ins kleinste Detail. So haben sich die beiden Parteien unter anderem Positionen im Verfassungsgerichtshof, im ORF, in der Nationalbank, in der EU-Kommission und bei der ÖBB gegenseitig zugesichert.
Auch bei der aktuellen schwarz-grünen Bundesregierung soll es solche geheimen Abkommen zwischen Kanzler Nehammer und seinem Vize Werner Kogler über zukünftige Postenvergaben gegeben haben. Als die Sideletter publik gemacht wurden, war von Reue aber keine Spur. Auf die Geheimpapiere angesprochen meinte der Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), dass das meiste der bisher teilweise geheimen Koalitionsabsprachen ohnehin im Koalitionsvertrag steht. Er kam auch innerhalb der eigenen Partei in Erklärungsnot, denn die wenigsten wussten – laut ihm – von den Sidelettern.
Postenschacher-Karussell, gebrochene Wahlversprechen, Zugeständnisse an den Koalitionspartner. Die Folge auf Bundes- wie Landesebene sind dieselben: Das Vertrauen in die Politik sinkt.
Bevölkerung soll auch bei Koalitionsverhandlungen mitreden
Diese Hinterzimmerpolitik will Burgenlands Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil (SPÖ) jetzt beenden. Im Rahmen seiner „Freundschafts-Tour“ machte er den SPÖ-Parteimitgliedern ein verlockendes Angebot. Sollte er der nächste Parteivorsitzende und damit auch nächste Kanzlerkandidat werden, dürfen Parteimitglieder in Zukunft über Koalitionsabkommen mitbestimmen. Falls er als neuer Parteichef gewählt wird, will er diesen Vertrag beim nächsten regulären Bundesparteitag einbringen (Anm. der Redaktion: Der 3. Juni – wo der oder die nächste Parteichef:in gewählt wird – ist ein Sonderparteitag).
Aus für Hinterzimmerpolitik
In der Wahlkabine schenkt der Wähler oder die Wählerin der jeweiligen Partei und ihrem oder ihrer Spitzenkandidat:in einen „Vertrauensvorschuss“. Kommt es zu keiner absoluten Mehrheit, finden Koalitionsverhandlungen zwischen den verschiedensten Parteien statt. In diese Verhandlungen hat die Bevölkerung meist keinen Einblick mehr. Bei einer Presskonferenz, bei dem die Koalitionspartner:innen dann ihre Abkommen nach wochenlangen Gesprächen der Öffentlichkeit präsentieren, wird die Nation oder die Bevölkerung des jeweiligen Bundeslandes dann vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Ergebnisse sorgen oft für eine Enttäuschung bei den Wähler:innen. Sie fühlen sich von ihren gewählten Parteien hintergangen.
Koalitionsabkommen transparent machen, Vertrauen in Politik stärken
Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil will nach eigener Aussage eine andere politische Agenda verfolgen. Im Rennen um den Chefsessel der SPÖ touren er, sowie Andreas Babler durch ganz Österreich. Die amtierende Parteispitze, Pamela Rendi-Wagner bleibt vorerst in der Löwelstraße – sie habe wichtige Termine zu verfolgen – ließ sie ausrichten. Doskozil hat einstweilen in Linz einen „Vertrag zur Demokratisierung der Sozialdemokratie“ vorgelegt.
Damit lädt er alle rund 148.000 Parteimitglieder ein, diesen zu unterschreiben. Im vorgelegten Vertrag verpflichtet er sich – sofern er neuer Parteichef und somit Spitzenkandidat werde – dass die Mitglieder den oder die Parteivorsitzende das nächste Mal direkt wählen können. Außerdem sollen die Mitglieder über jedes künftige Koalitionsabkommen abstimmen können. Diesen Antrag will er dann beim nächsten Bundesparteitag einbringen, sodass der Vertrag auch in den Parteistatuten festgesetzt ist.
Dabei betont er: „Für mich ist klar: Unsere Mitglieder sind das höchste Gut unserer Bewegung. Weil die Partei gehört nicht einzelnen, sie gehört uns allen“, so Hans Peter Doskozil.