Wer krank wird, will schnell einen Spital-Termin bekommen. Wer Kinder hat, will sie in der eigenen Gemeinde gut betreut wissen. Und wer die Gasrechnung sieht, wünscht sich ein Gehalt, von dem er sie auch bezahlen kann. In seiner groß angekündigten Rede in Wels musste Karl Nehammer zugeben: vieles davon, kann er den Menschen aktuell nicht bieten. Nach vier Jahren, zuerst als Innenminister, dann als Kanzler und fast vier Jahrzehnten ÖVP in der Regierung sagt er in Wels: „Wir haben die letzten 15 Jahre brutal verschlafen“ – Krisenmanagement sieht anders aus.
Fast 22.000 Tage ist die Österreichische Volkspartei an der Macht. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem mehrere Wahlen große Richtungsentscheidungen mit sich bringen werden, zeigt Karl Nehammer bei seiner Kanzler-Rede in Wels eines: Dass der ÖVP nach 37 Jahren in der Regierung nun die Luft ausgegangen ist. Die Menschen erwarten Antworten auf die Krisen. Die Strom- und Gasrechnungen oder auch gesundheitliche Probleme der Österreicherinnen und Österreicher warten nun mal nicht auf Politiker, die ihren Job „verschlafen“.
Mutige Wirtschaftspolitik in Krisenzeiten sieht anders aus – sie entlastet 99 Prozent der Menschen und besteuert jenes eine Prozent, das von den Krisen der letzten Jahre profitieren und sein Vermögen weiter vermehren konnte.
Karl Nehammer könnte nun das einzig Richtige machen: den vielen Menschen, die in den letzten Jahren zusammen – und dieses Land am Leben – gehalten haben, den Respekt zurückgeben, der ihnen zusteht. Schnelle Facharzt-Termine, eine Kinderbetreuung, die nicht auf die Großeltern ausgelagert wird oder Gehälter, die den Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern in diesem Land wieder ein gutes Leben ermöglichen. Stattdessen geben er und die ÖVP zu „Wir haben die letzten 15 Jahre brutal verschlafen“.
Showpolitik des müden Kanzlers: Groß ankündigen, statt wirklich gestalten
Ein Land aus der Krise zu führen, ist eine Herkulesaufgabe. Überall hakt das Zahnrad der schlecht geölten Maschine, die sich „Österreich“ nennt. Ob Nehammer mit seiner Rede in Wels wieder ausreichend Öl ins Getriebe gießen kann? Wohl kaum: Patient:innen warten nicht erst seit der Pandemie teils monatelang auf dringende Arzt- und OP-Termine. Die Ortszentren sind mancherorts auch trotz Schnitzelbonus für die Gasthäuser und ÖVP-Raiffeisenbank-Connections dem Aussterben nahe. Und unzählige Mütter müssen auch 2024 noch Beruf und Familie selbst managen, weil Kinderbildungseinrichtungen vielerorts um 14 Uhr zusperren.
Nehammer mag zwar wieder einmal den Ausbau der Kinderbetreuung groß ankündigen – komisch nur, dass ausgerechnet in ÖVP-regierten Bundesländern wie Oberösterreich, Niederösterreich oder Salzburg die Betreuungssituation besonders schlecht ist.
Nehammers Kanzler-Rede: Mutige Wirtschaftspolitik sieht anders aus
Was die ÖVP vor der Rede zum „Österreich-Plan“ gemacht haben muss: Sie hat die Wahlprogramme der letzten Jahre zusammenkopiert und versucht, das ÖVP-Archiv als „Zukunftsplan“ zu verkaufen. Eine Partei, die 15 Jahre verschläft und dann große Ankündigungen verspricht, verliert zwangsweise ihre Glaubwürdigkeit. Noch drastischer formuliert es Philip Kucher, Gesundheitssprecher der SPÖ.
Die Nebelgranaten, die Nehammer nun vor und in seiner Rede gestreut hat, sollen vor allem eines kaschieren: Dass die ÖVP nach fast vier Jahrzehnten in der Regierung keine großen Reformen mehr auf den Weg bringen wird. Anders lassen sich Forderungen nach Oma-Karenz, statt flächendeckender Kinderbetreuung oder Sprachvorschriften im FPÖ-Stil nicht erklären. Am Ende bleibt aber eines immer gleich bei der ÖVP:
Die Unternehmen können bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Geld einsparen und stattdessen in ihre Vorstandsetagen schieben.
Wo die ÖVP in Landesregierungen sitzt, wird gekürzt
So ist es in Niederösterreich bei der EVN geschehen – Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat dort einen ÖVP-Freund zum dritten hochdotierten Vorstand auserkoren. Bezahlen tun es die Menschen beim Blick auf ihre Rechnungen.
Die Leute wollen aber gerade jetzt wissen, wann ihr Kontostand wieder zum Leben reicht und ob sich heuer der Sommerurlaub ausgeht. Stattdessen will Nehammer mit seiner ÖVP das Arbeitslosengeld, sowie die Lohnnebenkosten für Arbeitgeber noch einmal runter kürzen. Und das obwohl ersteres jetzt schon eines der niedrigsten in der gesamten Europäischen Union ist. Ob diese Ankündigungen von Nehammer, die Lust von Herrn und Frau Österreicher noch mehr (steuerfreie) Überstunden zu machen, wirklich hebt? Lohnnebenkosten zu kürzen, bedeutet am Ende vor allem eines – den Sozialstaat zu zerstören.
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Jeder Milliardär ist ein Versagen der Politik
Herbert Kickl lacht sich einstweilen ins Fäustchen. Die Kanzlerrede wird der FPÖ nicht unwesentlich in die Karten spielen. Und das obwohl er einer jener Politiker ist, der vom System, das er dauernd kritisiert, mitunter enorm profitiert hat. Mit 2 Millionen Euro Einnahmen aus seinen politischen Mandaten, kann er sich schon selbst zur sonst so verabscheuungswürdigen „Elite“ dazu zählen. Sogar die Satireplattform « Die Tagespresse », die Kickls Einnahmen ausrechnete, wurde bei Kickls Bonzen-Gehalt auf Steuerkosten ungewohnt „schmähstad“.
Zu wenig, zu spät: So lässt sich Nehammers kurze Kanzlerschaft bisher zusammenfassen. Die „Zukunftsrede“ als Chef der Systempartei ist kein Aufbruch, sondern eher eine Schlaftablette, die uns in den Alptraum Kickl einlullen will. Wenn die ÖVP 15 von 37 Jahren „verschlafen“ hat und jetzt Steigbügelhalter der Rechten spielen will, dann haben sich die Österreicherinnen und Österreicher einen anderen Bundeskanzler verdient. Einen, der echte Reformen auf den Weg bringen kann.
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