Ein Navi im Netz – das soll der neue Handführerschein für Kinder und Jugendliche sein. Dafür setzt sich die Kärntnerin Marika Lagger-Pöllinger ein. Denn Eltern wissen oft nicht, wie es ihren Kindern im Netz geht. Es beginnt als harmlose Unterhaltung, entwickelt sich aber schnell zu einer ernstzunehmenden Sucht. Der ständige Vergleich mit inszenierten Idealbildern, die Jagd nach Likes und vor allem Cybermobbing sind Alltag vieler junger Menschen. Der Handyführerschein soll ihnen helfen, sicher an den Gefahren im Netz vorbei zu navigieren.
Marika Lagger-Pöllinger kennt die zerstörerische Macht des Cybermobbings aus eigener, schmerzhafter Erfahrung. Ihr Sohn wurde jahrelang online drangsaliert, bis er dem Druck nicht mehr standhielt und sich schlussendlich das Leben nahm. Heute kämpft die Kärntnerin dafür, andere Kinder und deren Eltern vor solchen einschneidenden Erlebnissen zu schützen, die sie und ihre Familie durchstehen mussten.
Marika Lagger-Pöllinger ist aber nicht nur Aktivistin und Mutter. Sie ist Bürgermeisterin der Gemeinde Lendorf im Bezirk Spittal an der Drau. Seit zwei Jahren ist sie außerdem Abgeordnete zum Kärntner Landtag. In einer emotionalen und vor allem sehr persönlichen Rede macht sie kürzlich auf die Gefahren, die im Netz lauern, aufmerksam.
Klare Ziele – weniger Bildschirmzeit, bewusstes Scrollen, Navigation im Netz
Lagger-Pöllinger fordert Cybermobbing und seine schwerwiegenden Folgen stärker in das Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken. Die Gefahren, die Kinder und Jugendliche im Netz auflauern, sind unsichtbar. Weder sie, noch andere Eltern oder Lehrkräfte bemerken sie. Mit gravierenden Folgen für unsere Gesellschaft. Abhilfe soll ein Handyführerschein bringen. Im Sommer soll er beschlossen werden und ab Herbst erste Kurse an Kärntens Schulen starten.
„Jene Kinder und Jugendliche, die im Netz wirklich Betrug und Mobbing ausgeliefert sind, haben eine Hemmschwelle. Die Scham wird so groß, größer als das Vertrauen in Angehörige und irgendwann ist es zu viel. Mein Sohn hat das gleiche gefühlt, denke ich.“

Ihre Partei, die SPÖ, fordert nun konkrete Maßnahmen und plant Kinder und Jugendliche künftig besser vor übermäßiger Handynutzung zu schützen. Sie sollen einen gesunden Umgang mit dem Smartphone und vor allem mit Sozialen Medien erlernen. Wie? Mit Workshops von Expert:innen, die direkt an die Schulen kommen. Stefan Sandrieser, Landtagsabgeordneter für Kultur, Sport und Bildung (ebenfalls SPÖ), sieht die frühzeitige Sensibilisierung von Kindern als wichtigste Maßnahme an.
„Mit Workshops sollen ganz gezielt junge Menschen befähigt werden, kritisch die Handy-Möglichkeiten im Social-Media-Bereich zu nutzen und Gefahren zu erkennen.“
Handyführerschein – Wie lege ich sicheres Passwort fest? Welche Daten gebe ich preis?
Der jetzt vorgeschlagene Handyführerschein ist eine „wichtige Maßnahme„, wie die SPÖ-Bürgermeisterin Lagger-Pöllinger sagt, aber sicher nicht die Einzige, die sie zum Schutz der Kinder verwirklichen will. Jugendliche stoßen im Netz auf unvorhersehbare digitale Gefahren. Viele knüpfen sorglos Kontakte, ohne sich der Risiken bewusst zu sein. Erpressung, Drohungen und Bloßstellung sind oft die Folge.
“Der Handyführerschein ist ein erster Schritt. Aufklärungs-Abende für Eltern und Erziehungsberechtigte sind als nächstes geplant.”
In ihrer Heimatgemeinde in Kärnten hat sie das kürzlich umgesetzt und sogar die Polizei zu einem Vortrag für Eltern und Großeltern über die Gefahren von Handynutzung und Internet eingeladen. Eine Mutter, so erzählt es Lagger-Pöllinger, war am Ende des Info-Abends schockiert. „Die Frau wusste gar nicht, welches „Graffl“ wir unseren Kindern da in die Hand drücken, ohne ihnen einen gesunden Umgang damit beizubringen,“ erzählt die Bürgermeisterin. Der geforderte Handyführerschein könnte daher mit grundlegenden Fragen beginnen: Wie entsperre ich mein Handy? Wie lege ich ein sicheres Passwort fest? Welche Daten gebe ich preis, und wer kann und darf mich überhaupt erreichen?
„Verbote wie das Handyverbot, das bald bundesweit kommt, sind nie die einzige Lösung, aber wir wollen versuchen mit klaren Regeln und Rahmenbedingungen, dass Kinder und Jugendliche lernen, dem Sog der Sozialen Netzwerke zu widerstehen. Denn auch, wenn es viele nicht gern hören: übermäßige Handynutzung ist eine Sucht. Wir erlauben es als Gesellschaft ja auch nicht, dass 13-Jährige, jeden Tag Alkohol trinken. Warum geben wir ihnen dann mit dem Handy ein Gerät in die Hand, dass sich zur Waffe gegen sie selbst entwickeln kann?“
Viele Jugendliche stehen mit Fragen zu Handykonsum und Internetnutzung allein da. Eltern übersehen oft die Problematik, noch öfter besitzen sie selbst nicht die nötigen Medienkompetenzen und Kenntnisse, um sich sicher im Internet bewegen zu können. Woher sollten es dann ihre Kinder können?
Lehrer:innen und Eltern verantwortlich für digitale Kompetenzen der Kinder
Das Hauptziel des Handyführerscheins ist die Reflexionsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum. Doch wie sollen Schüler:innen digitale Kompetenz erwerben, wenn es in der Lehrerschaft an fundierter Ausbildung in diesem Bereich mangelt?
Der Autor dieser Zeilen ist selbst Lehrer in Ausbildung und kennt die Defizite aus erster Hand. Ich bemerke also tagtäglich: Digitale Bildung ist ein Novum im Lehrplan – aber auch eine Notwendigkeit. Dennoch bleibt sie in der Ausbildung der angehenden Lehrerinnen und Lehrer eine Randerscheinung – der Kurs, den ich dieses Semester zu Medienkompetenz für Lehrkräfte belege ist etwa nur freiwillig. So etwas sollte für Lehrpersonen verpflichtend sein, finde ich!
Die Initiative zur digitalen Fortbildung liegt bis dato bei den engagierten Lehrkräften – der Staat zieht sich aus der Verantwortung. Wenn Österreich seine Jugend fit für die digitale Zukunft machen will, braucht es dringend eine verpflichtende und praxisnahe Ausbildung für Lehrkräfte.
Handyführerschein – Navigation im Netz gegen Cybermobbing
Marika Lagger-Pöllinger betont: Die Gefahr ist real, die Konsequenzen sind verheerend. Cybermobbing darf nicht länger als Randthema behandelt werden, wie es manch andere Parteien im Kärntner Landtag gern hätten. “Wir Erwachsenen müssen Verantwortung übernehmen – durch Aufklärung, Prävention und dem Handyführerschein als verpflichtende Maßnahme.” Selbst wenn Kinder ihren Eltern versichern, dass alles wie immer sei, bleibt eine Tatsache bestehen: Nicht alles ist immer okay und schon gar nicht im Internet. Das rät sie anderen Eltern. Auf Cybermobbing bei Kindern und Jugendlichen angesprochen, sagt sie:
„Beteiligt euch nicht, schaut nicht weg, greift ein! Ein falscher Satz im Internet kann gravierende Folgen haben. Damit das nicht so ist, setze ich mich für einen bewussten Umgang mit dem Handy und Sozialen Netzwerken und dem Handyführerschein als 1. wichtigen Schritt ein.“
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