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Meilensteine, die keine sind: Klimaministerin Leonore Gewessler im Porträt

Bild: BKA/Andy Wenzel / Montage

Die Absage des Lobautunnels, eine Steuerreform, die mehr öko als sozial ist oder das Klimaticket. Viele grüne Meilensteine der letzten Monate gehen auf Klimaministerin Leonore Gewessler zurück. Bei genauerer Betrachtung ist aber nicht alles gold – oder in dem Fall eher grün – was glänzt. Was genau macht Leonore Gewessler aus, die ihrem Parteichef Werner Kogler bald als Vizekanzlerin nachfolgen könnte?

Im Jänner 2020 holten die Grünen Leonore Gewessler als Ministerin für „Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie“ in die Politik. Und dann ist‘s erst mal still gewesen. Corona überschattete beinahe zwei Jahre lang sämtliche Klimaagenden. Die freundliche Erzählung: Freilich hatte die Regierung während der Hochphase der Pandemie anderes zu tun, als über Solarenergie, mehr Öffis oder Energiepfand zu debattieren. Die kritischere Sichtweise: Türkis-Grün war ausgerechnet in der so wichtigen Zukunftsfrage des Klimas monatelang wie gelähmt.

Dann ging es schnell: Plastikpfand, Klimaticket, Lobau – die Klimaministerin war plötzlich in aller Munde. Als „mutig, offen und umtriebig“ beschreiben sie gegenüber der NeuenZeit jene, die für sie arbeiten. Als „ideologiegetriebene Gefährderin des Wirtschaftsstandortes“ sehen sie Kritikerinnen und Kritiker.

Dann kam Lobau

Die zuvor unscheinbare und im Stillen arbeitende Ministerin bäumte sich mit ihrer Absage des Lobau-Tunnels in Wien und zwei Autobahnstrecken in Niederösterreich gegen Granden der Landespolitik auf. Damit zementierte sie ihren Ruf als Öko-Ministerin nicht nur bei den Österreicherinnen und Österreichern, sondern vor allem bei den politischen Gegner:innen endgültig ein.

Was vielen als „mutig“ imponiert, ist wohl auch den Umständen geschuldet. Der türkise Koalitionspartner ist politisch angeschlagen. Nach Kurz-Rücktritt, Inseraten-Affären in mehreren Bundesländern und nicht mehr zu zählenden peinlichen bis mutmaßlich kriminellen Chats ist die ÖVP nicht in der Position, das gesamte Koalitionsgeschehen zu diktieren. Gewessler hat dadurch jetzt leichteres Spiel, sich gegen ihren Koalitionspartner und diverse Landeschefs aufzulehnen, als noch zu Beginn ihrer Amtszeit.

Zudem ist Gewesslers Klimaministerium jenes Ressort mit den höchsten budgetären Mitteln und der wohl zukunftsweisendsten Agenda. Die grüne Ministerin muss liefern – das ist ihr auch selbst bewusst. Und so boxt sie ein grünes Kernthema nach dem anderen durch. Die grüne Basis freut’s, die arbeitenden Menschen, die ohne Auto nicht an ihren Arbeitsplatz gelangen, wohl eher weniger.

Nicht alles, was grün ist, glänzt

Dass Leonore Gewessler kein „grüner Bobo“ aus dem 7. Bezirk ist, ist ihr wichtig zu betonen. 1977 in Graz geboren und in der 3.000-Einwohner-Gemeinde Sankt Marein aufgewachsen, fuhr sie jeden Tag mit den Öffis in die 20 Kilometer entfernte Stadt. Sie würde die Sorgen der einfachen Leute schon verstehen, meint sie. Dass ein gutes Öffi-Netz wichtig ist, müsse man ihr nicht zwei Mal sagen.

Doch irgendwo in ihrem Lebenslauf ist die Nähe zur Arbeiterschaft dann wohl doch verloren gegangen. Nach der Schule ging sie nach Wien, um Politikwissenschaften zu studieren. Bald war sie tatsächlich in Neubau, im 7. Wiener Gemeindebezirk, als Büroleiterin der Bezirksvorstehung angekommen. Von 2009 bis 2014 war sie in Brüssel als Geschäftsführerin der „Green European Foundation“ tätig und damit weit weg von alltäglichen Sorgen wie schlecht ausgebauter Öffi-Anbindung am Land oder zu teurem Bio-Gemüse.

Zurück in Österreich übernahm sie 2014 „Global 2000“ und verantwortete die Kampagnen und die Öffentlichkeitsarbeit der NGO, bei der auch schon Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig tätig war. Für eine grüne Funktionärin liest sich ihr Lebenslauf heute wie aus dem Bilderbuch.

Mit „Öko-Populismus“ ans Ziel? 

Gewessler ist angetreten, um „die größte Herausforderung unserer Zeit – die Klimakatastrophe – zu bewältigen“. Diese Kernbotschaft wiederholt sie fast schon Mantra-artig in jeder größeren oder kleineren Fernsehsendung, auf ihren Social Media-Kanälen oder in Zeitungsinterviews. Ihre betont ruhige Art kommt bei ihren Anhänger:innen gut an, die Gegner:innen treibt sie damit in den Wahnsinn.

Gewessler kennt das mediale Spiel. Sie versucht gar nicht erst wichtige gesellschaftspolitische Akteure auf ihre Seite ziehen. Fast in „Ex-Kanzler-Kurz-Manier“ informiert sie die Öffentlichkeit schon bevor sie und ihre jeweiligen Verhandlungspartner einen Konsens erzielt haben. Ihre Freundlichkeit ist Taktik, in Wahrheit ist Gewessler berechnend. Kompromisse im Klimaschutz – kennt sie nicht. Nur treffen ihre vermeintlich wegweisenden Entscheidungen oft die Falschen.

Weder öko, noch sozial

Leonore Gewessler ist seit ihrem Amtsantritt für Prestigeprojekte wie das Klimaticket, den Ausbau erneuerbarer Energie oder die Einführung des Plastikpfands verantwortlich. 17,5 Milliarden Euro steckte sie beispielsweise ins Bahnnetz. Ihre Wegbegleiter attestierten ihr „Mut, Projekte auch dann durchzusetzen, wenn sich Widerstand formt“. Trotz der Stärke ihres Ressorts gelingt aber bei weitem nicht immer alles so, wie es sich die Grünen wünschen.

Bei der „öko-sozial“ betitelten Steuerreform der Regierung ist sozialpolitisch einiges schief gelaufen. Die sukzessive Erhöhung der Mineralölsteuer, also die automatische Erhöhung von Diesel und Benzin, wird auf kurz oder lang die „kleinen Leute“ und die Menschen am Land treffen. Man kann noch so viele Milliarden ins Bahnnetz stecken, nicht jeder wird eine Öffi-Station direkt vor der Haustür bekommen.

Auch der Austausch von alten Ölheizungen wird nicht passieren, solange die Mieter:innen und nicht die Vermieter:innen die steigenden Kosten dafür tragen müssen. Gerade angesichts der massiven Teuerungswelle fehlen soziale Maßnahmen. Und die müssen nicht nur klima-, sondern in erster Linie, verträglich für die Menschen sein.

Und während in betont grüner Manier auf mehr Eigeninitiative beim Klimaschutz gepocht wird – man solle doch lieber regional und bio (teuer!) kaufen – werden die wahren Verursacher:innen der Klimakrise außen vor gelassen. Es ist keine Besteuerung von umweltschädigenden Großkonzernen vorgesehen. Es gibt wieder keine ernsthaften Pläne für ein Lieferkettengesetz, das den Import von umwelt- und menschenfeindlichen Produkten aufhält. Und natürlich gibt’s auch keine CO2-Steuer auf besonders umweltschädigenden Freizeitspaß, den sich die Superreichen auf Kosten der Allgemeinheit gönnen (Stichwort Luxusyachten und Privatjets). All das, was für die Reichen, Chefs und Konzerne dieses Landes unangenehm wäre, fehlt in der grünen Klimapolitik der Leonore Gewessler. Die Frage wie grün eine Partei sein kann, die mit der ÖVP regiert, muss man hier wohl nicht mehr stellen.

Ist Leonore Gewessler die nächste Vizekanzlerin Österreichs?

Man könnte meinen, dass sich Gewessler in kurzer Zeit viele Feinde gemacht hat. In Wahrheit wägt sie aber genau ab, mit wem sie es sich “gut stellen muss”. Sie weiß, dass sie als Klimaministerin das Ass im Ärmel der “Öko-Partei” ist. Beim kürzlich abgehaltenen Bundeskongress der Grünen in Villach wurde sie trotz oder vielleicht auch wegen all diesen Entwicklungen zur neuen Vize-Parteichefin gewählt. Und man kann sich sicher sein: Je stärker der Gegenwind von Wirtschaft und Opposition wird, desto sicherer wird sie sich der Rückendeckung der grünen Basis sein können.

Noch vor ein paar Jahren als „Global 2000“-Geschäftsführerin kritisierte Gewessler, dass sich Österreich beim Klimaschutz auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhe. Ähnliches könnte man der Umweltministerin nun selbst vorwerfen: Politik mit viel Show-Effekt wie beim Klimaticket, statt Entlastung für die kleinen Leute. Und die sind am Ende des Tages bekanntlich diejenigen, die am stärksten von der Klimakrise und steigenden Energie-Preisen betroffen sind. Nicht die Bobos mit ihren Lastenrädern und Jutebeuteln im 7. Bezirk.

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