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„Ich liebe meinen Kanzler“ & Inseraten-Affäre: So gelangten die ÖVP-Chats an die Öffentlichkeit

Bilder: BKA/Dunker, ÖBAG.gv.at, BKA/Dragan Tatic, Montage

Die bekannt gewordenen ÖVP-Chats kosteten Sebastian Kurz das Kanzleramt und Gernot Blümel das Finanzministerium. Und laufend werden neue Skandale durch geleakte Nachrichten bekannt. Wo kommen die vielen geheimen ÖVP-Chats eigentlich her?

Ich liebe meinen Kanzler“, „Du bist die Hure für die Reichen“ oder „Rote bleiben Gsindl“ – es ist kaum möglich, den Überblick über alle türkisen Chats zu behalten, die in den letzten Monaten publik wurden. Sie stammen hauptsächlich aus den Handys von drei gut vernetzten ÖVP-Granden: Von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid, vom ehemaligen Innenministeriums-Kabinettschef Michael Kloibmüller und vom Ex-Generalsekretär im Justizministerium, Christian Pilnacek.

Die Chats aus den drei Handys gelangten über unterschiedliche und doch gleiche, teils kuriose Wege an die Öffentlichkeit. Die NeueZeit hat die Pfade der ÖVP-Chats nachgezeichnet.

Wo kommen die ÖVP-Chats her? So gelangten sie an die Öffentlichkeit

Wo kommen die ÖVP-Chats her? So gelangten sie an die Öffentlichkeit
Wo kommen die ÖVP-Chats her? So gelangten sie an die Öffentlichkeit. // Grafik: NeueZeit.at

„Ich liebe meinen Kanzler“ & Inseraten-Affäre – das Handy von Thomas Schmid

Die bisher weitreichendsten Folgen hat das Handy von Thomas Schmid. Er galt als einer der engsten Vertrauten von Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Schmid war Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium, später Chef der staatlichen Beteiligungsgesellschaft ÖBAG. Mittlerweile ist er alle seine Ämter los und hält sich im Ausland auf.

Schmids Handy wurde nach Auffliegen des Ibiza-Videos beschlagnahmt, als die Justiz wegen einer anonymen Anzeige zu Bestellvorgängen in der teilstaatlichen Casinos AG ermittelte.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat daraufhin jene Chat-Nachrichten von Schmids Handy ausgewertet, die strafrechtlich relevant sind. Den Akt mit den ausgewerteten Chats können alle Anwältinnen und Anwälte, die im Verfahren beteiligt sind, einsehen. Und sie dürfen die Berichte zu den Chat-Protokollen auch weitergeben, wenn es ihren Mandantinnen und Mandanten dient. Auf diesem Weg dürften einige Chats von Thomas Schmid an die Öffentlichkeit gelangt sein: Anwälte von Beschuldigten haben sie an ausgewählte Medien weitergespielt.

Allerdings sind so nur die strafrechtlich relevanten Chat-Nachrichten an die Zeitungen gelangt. Jene, die für die Ermittlungen als irrelevant eingestuft wurden, dürften über den parlamentarischen Untersuchungs-Ausschuss bekannt geworden sein. Der hat nämlich sämtliche Daten beantragt, nicht nur jene aus den Ermittlungsakten. Parteien aus dem U-Ausschuss haben die Chats dann wohl an Medien weitergegeben. Die WKStA war übrigens dagegen, dem Untersuchungs-Ausschuss sämtliche Daten zu liefern, berichtet „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk.

Aus Thoms Schmids Handy stammen nicht nur „Klassiker“ wie der Sager „Vergiss nicht – du hackelst im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!” oder die Liebesgrüße an Ex-Kanzler Kurz: „Ich liebe meinen Kanzler“.

Die Auswertung von Schmids Telefon führte auch zu zwei Ermittlungssträngen gegen Sebastian Kurz: Einmal wegen des Verdachts auf Falschaussage vor dem Untersuchungs-Ausschuss und einmal wegen Beihilfe zur mutmaßlichen Inseraten-Korruption mit gekauften Umfragen. In beiden Fällen gilt die Unschuldsmutung.

Die „BMI-Chats“ – das Handy von Michael Kloibmüller

Im Jänner 2021 wurden Daten aus dem Handy von Michael Kloibmüller publik. Kloibmüller arbeitete seit dem Jahr 2000 für zahlreiche ÖVP-Innenministerinnen und Innenminister. Jahrelang war er Kabinettschef, also oberste Beamter im Ministerium. Mit entsprechend vielen mächtigen Türkisen chattete Kloibmüller über die Jahre hinweg. Sein Handy, gefüllt mit diesen Chats, gelangte durch eine kuriose Geschichte an die Öffentlichkeit.

2017 ruderte Kloibmüller bei einem Ausflug mit zwei Mitarbeitern in einem niederösterreichischen Freizeitpark auf einem Kanu. Das Boot kenterte, die drei Beamten fielen samt ihrer Handys ins Wasser. Kloibmüller beauftragte einen Mitarbeiter, sein Diensthandy einem IT-Experten im Verfassungsschutz zu übergeben. Dieser sollte die Daten des Mobiltelefons auslesen und das Handy anschließend vernichten. Stattdessen soll der Informatiker vom Verfassungsschutz aber heimlich eine Kopie der Handy-Daten angefertigt haben – und die gelangte dann über unbekannte Quellen an die Medien. Die Online-Zeitung „Zackzack“ dürfte im Besitz der gesamten Kloibmüller-Chats sein, auch andere Medien wie der „Standard“ veröffentlichten Passagen aus den Nachrichtenverläufen.

„Zackzack“-Herausgeber Peter Pilz hat die Daten vor Kurzem an die Justiz übergeben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass daraus weitere Ermittlungen entstehen. Das bedeutet auch, dass die Justiz ausgewertete Chats aus Kloibmüllers Handy in Auswertungs-Berichte gießt, die dann wiederum bei den Anwältinnen und Anwälten der Beschuldigten sowie beim neuen Untersuchungs-Ausschuss landen. Und von dort wohl wieder an diverse Medien weitergespielt werden.

Kloibmüllers Nachrichten sind als „BMI-Chats“ bekannt geworden. Sie zeigen, wie das ÖVP-Netzwerk im Innenministerium versuchte, die Justiz unter Kontrolle zu bringen und Spitzenposten in der Polizei nach Parteibuch zu besetzen. Auf Kloibmüllers Handy war auch die derbe Nachricht von Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gespeichert. Sie textete: „Rote bleiben Gsindl!“

Türkise Angriffe auf die Justiz – das Handy von Christian Pilnacek

Das dritte wichtige Handy, aus dem Chats kursieren, gehört Christian Pilnacek. Er war als Generalsekretär im ÖVP-Justizministerium jahrelang einer der Mächtigsten im heimischen Justizapparat. Mittlerweile ist er suspendiert. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck ermittelt in der Causa um den Investor Michael Tojner wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat gegen Pilnacek.

Im Zuge der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft auch das Handy von Pilnacek ausgewertet. Die Auswertungsberichte sind im Untersuchungs-Ausschuss gelandet – und von dort unter der Hand an Medien weitergegeben worden.

Die Nachrichten von Pilnacek offenbaren vor allem sein bedenkliches Verhältnis zur unabhängigen Justiz. Ermittler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die später gegen Sebastian Kurz ermitteln sollten, wollte Pilnacek als Sektionschef im Justizministerium sogar überwachen und beschatten lassen. Auch so manche Urteile des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) passten dem mächtigen Pilnacek offenbar nicht in den Kram. Pilnacek textete: „Sonst exportieren wir den VfGH nach Kuba“. Über eine Verfassungsrichterin schrieb er, sie „gebe eine gute Müllfrau ab“.

Dürfen Medien die ÖVP-Chats überhaupt veröffentlichen?

Auch wenn es den Mächtigen nicht passt: Medien dürfen Chat-Protokolle, die ihnen zugespielt werden, veröffentlichen, wenn sie für die Öffentlichkeit von Interesse sind. Und das sind geheime Postenschacher oder mutmaßliche Inseraten-Deals ohne Zweifel.

Nur Chats, die den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ der Politikerinnen und Politiker betreffen, dürfen nicht abgedruckt werden. Deshalb sind in den Medien auch keine privaten Handyfotos gelandet, sondern nur politisch relevante Nachrichten.

Noch nicht alle Chats sind ausgewertet – kommen noch mehr Skandale?

Vor allem das Handy von Thomas Schmid bereitet der Partie rund um Sebastian Kurz Sorgen. Die bisher daraus bekannt gewordenen Skandale wie die Inseraten-Affäre könnten noch lange nicht alles gewesen sein. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die die Chats auf strafrechtlich relevante Nachrichten durchsucht, soll noch nicht alle Daten ausgewertet haben. Gut möglich, dass mit fortschreitenden Ermittlungen noch mehr Chats an die Öffentlichkeit gelangen.

Auch der neue „ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss“ dürfte wieder jede Menge Daten und Chats beantragen und durchwühlen. Er startet im März – die Volkspartei muss sich auch hier auf weitere unangenehme Veröffentlichungen gefasst machen.

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