Im Grazer Gemeinderatswahlkampf platzte eine politische Bombe. Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) ist plötzlich für eine Leerstandsabgabe. Er stellt sich damit auf die Seite der Grazer SPÖ, die diese Forderung bereits seit Jahren vertritt. Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) wurde von Schützenhöfers Schwenk überrascht. Ob er nun endlich bereit ist, auf die SPÖ-Vorschläge zur Bekämpfung der katastrophalen Wohnungssituation einzugehen, ist fraglich.
Bis zu 38.000 Wohnungen stehen aktuell in Graz leer
In Graz herrscht seit vielen Jahren ein regelrechter Bauwahn. Treibende Kräfte dahinter sind Immobilienkonzerne die Wohnungen oftmals primär als Wertanlage sehen. Alleine im Jahr 2019 pumpten sie ganze 250 Millionen Euro in den Grazer Wohnungsmarkt. In den letzten zehn Jahren wurden in Graz unfassbare 68 Hektar verbaut. Das ist eine Fläche, die deutlich größer ist als die Vatikanstadt. Da die meisten Wohanlagen völlig an den Bedürfnissen der Menschen vorbei gebaut werden, stehen aktuell bis zu 38.000 Wohnungen leer. Eine genaue Feststellung der Größenordnung des Problems ist nicht möglich, da sich Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) seit Jahren weigert eine Leerstandserhebung durchzuführen. Währenddessen hält der hemmungslose Bauboom an, was zu steigenden Mieten und zum Verschwinden von immer mehr Grünflächen führt.
SPÖ Graz fordert Leerstandserhebung und Leerstandsabgabe
Um die katastrophale Wohnungssituation zu verbessern fordert die Grazer SPÖ bereits seit Jahren die Durchführung einer Leerstandserhebung. In weiterer Folge ist die Einführung einer Leerstandsabgabe geplant, um Immobilienspekulation effektiv bekämpfen zu können. Im Kampf gegen die Verbauung will die SPÖ sogar einen Schritt weitergehen. Sie spricht sich für einen Baustopp aus. Kein profitorientiertes Investorenprojekt, das mehr als 8 Wohneinheiten umfasst, soll mehr genehmigt werden. Der Baustopp würde so lange gelten, bis der Stadtentwicklungsausschuss Vorschläge zur Bekämpfung der Verbauung vorlegt.
Im Gemeinderat wurden die SPÖ-Vorschläge jedoch von der türkis-blauen Rathauskoalition stets abgelehnt. Vor allem die Argumente der ÖVP stehen dabei auf wackeligen Beinen. Sie verweist darauf, dass eine Leerstandserhebung aus Datenschutzgründen nicht möglich sei. Dieses Argument hat sich erst jüngst am Beispiel von Innsbruck als haltlos herausgestellt. Der dortige Bürgermeister Georg Willi (Grüne) ließ den Stromverbrauch erheben und so feststellen können, wie viele Wohnungen leer stehen. Ermittlungen wegen Verstoßes gegen den Datenschutz verliefen im Sande. Für die Grazer ÖVP ist das jedoch kein Grund für ein Umdenken. Es stellt sich mit Hinblick auf ihre Sturheit die Frage, ob das Rathaus oder die Immobilienlobby die Wohnungspolitik macht.
Landeshauptmann Schützenhöfer ist für die Leerstandsabgabe
Während sich Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) im Wahlkampf fast nicht zur Verbauungsproblematik äußerte, findet um ihn herum ein Umdenken statt. Einer Umfrage zufolge sind aktuell bereits 70 Prozent der Grazer Bevölkerung für die Einführung einer Leerstandsabgabe. Jetzt vollzog auch der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) einen durchaus überraschenden Schwenk. Er spricht sich plötzlich wie die Grazer SPÖ für eine Leerstandsabgabe aus. Wenig Freude dürfte er damit seinem Parteifreund Nagl machen. Es ist schon bemerkenswert, wenn der Landeshauptmann dem Grazer Bürgermeister mitten in der Schlussphase des Gemeinderatswahlkampfes widerspricht. Der Grazer SPÖ-Vorsitzende Michael Ehmann zeigt sich ob des Schwenks von Schützenhöfer erfreut und überrascht. Er hält fest, dass späte Einsicht besser ist als überhaupt keine. Andererseits stellt er aber klar: „Schritte gegen Leerstand fordern wir schon seit sechs Jahren.“ Während sich die Politik der Grazer SPÖ durch Schützenhöfers Ankündigung nicht ändert, könnte die ÖVP vor einer Zerreißprobe stehen.
Hintergrund ist die Konkurrenz zwischen Schützenhöfer und Nagl. Der Grazer Bürgermeister wurde lange als Landeshauptmann gehandelt. Letztlich setzte sich jedoch Schützenhöfer durch. Dieser tut seit langer Zeit auch alles, um Nagl als seinen Nachfolger zu verhindern. Der Konflikt eskalierte zuletzt im Zuge der Grazer Olympiabewerbung. Schützenhöfer ließ Nagls Luftschloss platzen, indem er sich weigerte, Finanzgarantien bereitzustellen. Der Schwenk in der Frage der Leerstandsabgabe ist wohl nur ein weiterer Schritt in einem immer härter werdenden Machtkampf. Die Grazer Bevölkerung leidet unterdessen weiter unter Leerstand, steigenden Mieten und Verbauung. In der letzten Gemeinderatssitzung vor der Wahl, bringt die SPÖ daher erneut einen Antrag auf Baustopp ein. Sie fordert außerdem, dass der Bürgermeister jetzt endlich umdenkt und Schritte gegen den Leerstand setzt. Ob Nagl noch vor der Wahl zur Vernunft kommt und sich dem Willen seines Parteichefs und der Mehrheit der Grazer Bevölkerung beugt, bleibt abzuwarten.