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“Jeder, der sich noch spürt, kann die Schieflagen in Ö nicht leugnen” – Interview mit Bernhard Höfler

Die Arbeit muss zum Leben passen, nicht umgekehrt. Unternehmensgewinne gehören stärker besteuert und jede:r muss seinen gerechten Beitrag leisten. Für viele ist der Tiroler Gewerkschafter Bernhard Höfler einer, der das anspricht, was manche gern ausklammern würden. Andere stempeln seine Pläne als “utopisch” ab. Die NeueZeit hat mit dem “Revoluzzer aus Tirol” gesprochen.

NeueZeit: Künstliche Intelligenz wird in den nächsten Jahren die Arbeitswelt auf den Kopf stellen. Mit der FSG Tirol haben Sie klar formuliert, man solle sich vor der Digitalisierung nicht fürchten, sondern sie als Chance sehen. Was braucht es denn, damit sie auch wirklich zur Chance für Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte wird?

Es braucht einerseits Bildungsangebote, die tatsächlich lebenslanges Lernen ermöglichen und unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht von heute auf morgen vor dem Nichts stehen. Andererseits braucht’s einen aktiven Staat, um diese anstehenden Veränderungen mehr als nur zu begleiten. Wie soll unser gemeinsamer Sozialstaat der Zukunft hinsichtlich Steuerpolitik – Stichwort Wertschöpfungsabgabe – aussehen?

NeueZeit: Wie könnte so eine Wertschöpfungsabgabe, die Sie vorschlagen, denn konkret funktionieren?

Wir alle müssen uns die Frage stellen, wie wir in Zukunft Arbeitsplätze, Sicherheit, Wohlstand und starke personalintensive Industrie beziehungsweise Technologie im Land behalten können. Es kann nicht unsere Intension sein, nur in Sonntagsreden über Ungerechtigkeiten in der Steuerpolitik zu sprechen und gleichzeitig machen Großkonzerne mit wenig Personal Milliardengewinne. Im Verhältnis zu ihren fetten Profiten tragen sie jedoch nichts oder fast nichts zum sozialen und friedlichen Zusammenhalt in unserem Land bei. Unsere produktiven Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schuften indes und zahlen immer mehr Steuern auf ihre Arbeitsleistung.

Bernhard Höfler - zur Person

Bernhard Höfler ist Vorsitzender der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter in Tirol. In der Arbeiterkammer Tirol setzt er sich für faire Bedingungen am Arbeitsplatz, gratis Kinderbetreuungsplätze oder auch eine Wertschöpfungsabgabe ein. Eine solidarische Gemeinschaft, haben wir laut Höfler dann erreicht, wenn die wenigen Reichen, die nur auf Profit aus sind, von der viel größeren Mehrheit wieder in ihre Schranken gewiesen werden.

Bei einer Wertschöpfungsabgabe würde die gesamte Wertschöpfung eines Unternehmens und nicht nur die Lohnsumme für die Arbeit als Sozialbeitrags-Berechnungsbasis herangezogen. Ferner enthält die Wertschöpfung nicht nur die Lohnsumme, sondern auch Gewinne, Abschreibungen, Fremdkapitalzinsen, Pachten und Mieten.

Es kann doch nicht sein, dass wir alle – als Leistungsträgerinnen und Leistungsträger – permanent nur als Bittsteller und Melkkühe der Nation behandelt werden und gleichzeitig einzelne Damen und Herren im Land nicht mehr wissen, wohin mit der Kohle. Wir haben eine Schieflage im Land, die mittlerweile niemand, der sich noch spürt, leugnen kann.

Seit Jahrzehnten sinkt der Anteil der Arbeitseinkommen, die Kapitaleinkommen steigen hingegen. Mit Spekulation lässt sich viel Geld verdienen, ohne dass darauf Sozialabgaben anfallen. Das ist nicht fair und darauf ist auch das Sozialsystem nicht vorbereitet. Um es zu sichern, müssen wir die Finanzierung verbreitern und auch andere Komponenten als nur Löhne und Gehälter heranziehen.

Personalintensive Betriebe würden mit einer Wertschöpfungsabgabe prinzipiell profitieren.

NeueZeit: Was muss sich bei der Ausbildung und Bildung ihrer Meinung nach allgemein ändern?

Wir haben unzählige Bildungsangebote im Land, die teilweise nicht immer treffsicher erstellt wurden. Man muss sich Weiterbildung/ Umschulung im Land auch leisten können. Aus diesem Grund wollen wir einen Bildungsscheck für jede und jeden im Land. Das soll ermöglichen, dass jede und jeder zumindest einmal im Leben theoretisch einen neuen Beruf erlernen kann, ohne finanzielle Probleme damit zu bekommen.

Die finanzielle Absicherung während der Ausbildung muss analog einem Arbeitseinkommen erfolgen. Gleichzeitig benötigen wir moderne, innovative und qualitätsvolle Gesamtschulen für unsere Kleinsten, unsere Kinder. Kinderbildungseinrichtungen müssen flächendeckend, ganzjährig und kostenlos für all unsere Kolleginnen und Kollegen ermöglicht werden. Da sind vor allem schwarz-blaue Bundesländer wie z.B. Oberösterreich besonders gefragt etwas zu unternehmen!

NeueZeit: Noch einmal zurück zur Wertschöpfungsabgabe. In Ihrem Zukunftsprogramm fordern sie: „Dem Wohlstand Spielregeln geben“. Wie sollen die denn ausschauen?

Es kann doch nicht sein, dass wir alle – als Leistungsträgerinnen und Leistungsträger – permanent nur als Bittsteller und Melkkühe der Nation behandelt werden und gleichzeitig einzelne Damen und Herren im Land nicht mehr wissen, wohin mit der Kohle. Spielregeln einer funktionierenden Gesellschaft bedeuten, dass sich jede/r ausnahmslos am gemeinsamen friedvollen Zusammenleben positiv beteiligt. Dazu gehören auch Steuern! Wir haben eine Schieflage im Land, die mittlerweile niemand, der sich noch spürt, leugnen kann.

NeueZeit: Thema: Zwei/Drei/Viel-Klassenmedizin: Wie soll Österreich denn das Gesundheitssystem retten?

Die versprochene Patientinnen-Milliarde von ÖVP und FPÖ war damals schon ein Märchen und bleibt einer der größten Skandale in der 2. Republik. Man hat das damals schon in einzelnen Bereichen nicht unbedingt gut aufgestellte Gesundheitssystem mit dieser Zentralisierung, Zerschlagung und schleichenden Teilprivatisierung an den Rand des Abgrunds geführt. Mittlerweile sprechen wir nicht mehr von einer Zwei-Klassen-Medizin sondern von 4 oder sogar 5 Klassen.

Es muss in den nächsten Jahren endlich eine tabulose Gesundheitspolitik erfolgen, die Doppelgleisigkeiten endlich beendet. Die Leistungen gehören verbessert und immer aus der Perspektive der Versicherten, der Patientinnen und Patienten einerseits und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern andererseits verbessert. Gleichzeitig gehören die Gesundheitskassen wieder in die Hände der Arbeitnehmer:innen, wir zahlen uns das selbst und haben über unser Geld selbst zu entscheiden. Monarchische Zeiten, in der die Allmachtsphantasien Einzelner befriedigt werden, sind schon längst vorbei.

NeueZeit: Beim Gender Pay Gap ist Österreich noch immer eines der Schlusslichter in Europa. Viele Frauen sitzen in der sogenannten „Teilzeitfalle“ und auch Altersarmut trifft sie deutlich öfter als Männer. Was muss denn passieren, damit sich das endlich ändert?

Teilzeitarbeit bedeutet aktuell eine Teilzeitpension. Um Altersarmut zu bekämpfen, muss die Pensionsreform von 2003 zurückgenommen werden. Nicht die Lebensdurchrechnung, sondern die besten 15 Jahre gehören als Basis für zukünftige Pensionen herangezogen. Kinderbildungseinrichtungen gehören für die Zukunft ebenfalls dazu. Was gleich umgesetzt werden kann, sind die volle Anrechnung von Kindererziehungszeiten, die Anstellung der pflegenden Angehörigen bei öffentlichen Einrichtungen – Stichwort Burgenlandmodell – und eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung mit Familien- bzw. Lebensarbeitszeit-Komponenten.

NeueZeit: Es wird viel über Arbeitszeitverkürzung debattiert. Die FSG fordert in ihrem Zukunftspapier unter anderem besagte „Lebensarbeitszeitmodelle“. Worum geht es denn da?

Die jetzige junge Generation ist nicht mehr bereit, permanent und immer zu arbeiten und etliche (Mehr)-Stunden pro Tag und Woche zu leisten. Sind Sie nun faul? Nein, mit Sicherheit nicht! Als Arbeitnehmer:innen-Bewegung wollten wir über Jahrhunderte, mündige, gut ausgebildete Arbeiterinnen und Arbeiter zu einem selbstbestimmten, guten Leben verhelfen. Dies gelang mit Solidarität, Kampf und Herzblut. Viele Vorkämpferinnen und Vorkämpfer mussten auch mit ihrem Leben dafür bezahlen. Der 8-Stundentag war auch kein Geschenk, den mussten wir uns erkämpfen. Auch jetzt wird die Arbeitszeit eine der großen Herausforderungen für die Zukunft.

Wir brauchen kürzere, familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle mit Möglichkeiten zur Flexibilität für beide Seiten. Ein persönliches Beispiel ist immer die typische Weltreise. Viele die ein Leben lang gehackelt haben, sagen öfters, bei Pensionsantritt eine Weltreise anzutreten. Wieso erst in der Pension? Wieso kann man das nicht im 35. Lebensjahr machen? Und wer jetzt meint das wäre utopisch – Utopie schaut für mich, anders aus!

Lebensarbeitszeitmodelle sind Modelle die vielleicht heute noch etwas weit weg sind, werden sich jedoch auf kurz oder lang durchsetzen. Ein rechtlicher Rahmen, in dem man sich flexibel bewegt, Stunden ansparen kann. Geld oder Zeitausgleich – das entscheidet jede und jeder für sich selbst, natürlich immer eingebettet in Kollektivverträge.

NeueZeit: Und „Familienarbeitszeitmodelle“?

Wäre bei Lebensarbeitszeitmodellen inkludiert. Auf alle Fälle notwendig – und: Familienarbeit ist nicht nur weiblich!

NeueZeit: Arbeitszeitverkürzung– ja oder nein?

Ja, die gesetzliche Arbeitszeit gehört gesenkt.

 NeueZeit: Wenn Sie sich drei Forderungen zu Arbeitszeit und Arbeitszeitmodellen aussuchen dürften, die nächste Woche umgesetzt werden: Welche wären das?

Kürzere Arbeitszeiten speziell für Schichtarbeiter:innen und Schwerarbeiter:innen, 6 Wochen Urlaub für alle und Lebensarbeitszeitmodelle.

NeueZeit: Über Migration und Integration wird viel theoretisch und auf Distanz diskutiert. Wenn Sie mit Betriebsrätinnen und Betriebsräten reden: Was braucht es denn, damit ein Miteinander gelingen kann?

Mehr als 20 Prozent der Erwerbstätigen haben Migrationshintergrund, über 14 Prozent der Bevölkerung sind nicht österreichische Staatsbürger:innen. Generell ist Integration ein gemeinsamer, wechselseitiger Prozess und der braucht immer Bereitschaft von beiden Seiten. Grundvoraussetzungen sind dabei Respekt, Akzeptanz und Anerkennung der jeweils anderen Kultur, der geltenden Werte, Normen und Bräuche. Die soziale Eingliederung in die Gesellschaft durchläuft mehrere Phasen: das Erlernen der Sprache, die strukturelle Platzierung im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt, die soziale Integration und die emotionale Bindung an das neue Land.

Zugewanderte müssen am wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Die Zugewanderten wiederum dürfen sich diesen Angeboten nicht verschließen und sollten aktiv daran teilnehmen. Darum fordern wir als FSG Tirol – ausreichende Deutschkurse und eine Verbindung von fachspezifischem und sprachlichem Lernen. Das Erlernen der deutschen Sprache ist für neu zugewanderte Menschen ein zentraler Schlüssel, um am Leben in Österreich teilhaben zu können. Um eine rasche Integration zu forcieren, sollte das Absolvieren von sprachlichen und fachspezifischen Qualifikationen auch parallel möglich sein.

NeueZeit: Die Lebensmittelpreise in Österreich explodieren und sind deutlich teurer als in Deutschland. Sie haben ein Spekulationsverbot für Grundnahrungsmittel gefordert und wollen, dass „ausgewogene, regionale Ernährung für alle leistbar“ wird. Wie soll das funktionieren?

Die Preise für die in unserem Land erzeugten Produkte gehören staatlich geregelt und den Spekulanten auf der Börse entzogen. Jede Familie, jedes Kind in unserem Land soll mit den besten regionalen und leistbaren Nahrungsmitteln aufwachsen, unabhängig von der ökonomischen Situation. Das kann so aussehen: öffentliche Kantinen in Schulen, Krankenhäusern und Kindergärten, sowie verpflichtende “Quoten” von regionalen Produkten. Gleichzeitig wären die Produktionsketten – von der Landwirtschaft bis zum Handel – transparent sowie nachvollziehbar. Unsere Nahrungsmittel sind wertvoll und gute Qualität muss man wertschätzen. Frei nach dem Motto: “Lieber besser als mehr, für alle, nicht für wenige!”

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