Interview mit Lukas Haffert: Ob im Wirtshaus, am Spielplatz oder in der Sportplatzkantine: “Beim Reden kommen d’Leut zam”. Gleichzeitig verschwinden diese Treffpunkte aber immer mehr – vor allem in ländlichen Regionen. Wie wir als Gesellschaft wieder mehr zusammenrücken und was die Politik dafür tun kann, erzählt Politikwissenschafter Haffert der NeuenZeit.
NeueZeit: Menschen, die in Dörfern leben, fühlen sich europaweit weniger politisch repräsentiert als Menschen, die in der Stadt leben. Sie haben das Gefühl, weniger Einfluss auf die Politik nehmen zu können. Woher rührt das und wie können Sie das erklären, Herr Haffert?
Lukas Haffert: Bei der Landbevölkerung tritt häufig nicht nur das Gefühl auf nicht mitbestimmen zu können. Die politischen Kompetenzen liegen woanders, als in den Gemeindestuben selbst. Das führt dazu, dass seitens der Landbevölkerung dann oft die Klage kommt, dass sie im Ort zwar das “bessere Wissen” hätten, was notwendig wäre, höhere Ebenen aber entscheiden. Dann kommt schnell das Gefühl auf, der Landtag eines Bundeslandes oder das Parlament in der Bundeshauptstadt bestimme quasi über die Köpfe der Dorfbevölkerung hinweg.

Nehmen wir Gemeindefusionen her – die führen zum Beispiel zu einem Vertrauensverlust auf Seiten der Landbevölkerung. Die Bewohner der vormals eigenständigen Gemeinde haben das Gefühl, dass sie diese Fusion von oben herab diktiert und aufgetischt bekommen. Obwohl sie sie ja eigentlich nicht wollten. Außerdem nehmen Menschen am Land die nationale Regierung grundsätzlich als „weiter weg“ und dadurch als weniger beeinflussbar wahr.
Steckbrief:
Lukas Haffert ist Politikwissenschafter und Ökonom. Er lehrt und forscht an der Universität Genf. In seiner politikwissenschaftlichen „Vermessung“ der Bundesrepublik Deutschland zeigt er, warum Stadt-Land-Unterschiede in den letzten Jahren zunehmen. In seinem Buch „Stadt, Land, Frust“ skizziert er, was progressive Politik leisten muss, damit vermeintliche abgehobene Eliten in Städten und sich abgehängt fühlende Landbewohner wieder zusammen finden können.
Ob Stadt oder Land: „Menschen wollen Gefühl haben, mitbestimmen zu können“
Warum ist der Stadt-Land-Konflikt in den letzten Jahren zu einer immer stärkeren politischen Konfliktlinie geworden und wer profitiert von dieser Entwicklung eigentlich?
Das hat etwas damit zu tun, wie sich die Art und Weise wie Wohlstand erzeugt wird, verändert hat. Es hat zwar immer schon einen Unterschied gemacht, ob man in der Stadt oder am Land lebt. 1980 war der aber kleiner als 1920. Seit den 80er-Jahren ist er dann wieder größer geworden. Das liegt auch daran, dass es am Land sehr viel weniger Bürojobs gibt, als in den Städten.
Die Identifikation mit dem eigenen Ort und der eigenen Herkunft ist umso größer, je ländlicher eine Region ist. Die Politik hingegen, wird oft als „abgehobene“ Bundespolitik „der Eliten“ gesehen.
Natürlich hat in den letzten Jahrzehnten neben der Stadt-Land-Ungleichheit auch die Ungleichheit zwischen “Oben und Unten” oder reich und arm zugenommen. Doch die Fähigkeit bei den Leuten, die unter dieser Ungleichheit leiden, ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, hat abgenommen. Es war sehr viel einfacher Menschen, die alle in einer Fabrik gearbeitet haben, politisch auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, als heutzutage zum Beispiel Fahrradkuriere.

Der Wohnort hingegen ist ein Nenner, wo dieses Gemeinschaftsgefühl immer noch funktioniert. Diese Ungleichheit zwischen Stadt und Land ist dann für manche politische Parteien (in Deutschland vor allem für die AfD) leichter “zu übersetzen” und für sich zu nutzen, als die Oben-Unten-Ungleichheit beim Einkommen, die vor allem sozialdemokratische und linke Parteien forcieren.
Haffert: „Es ist eine Schwäche der Linken, dass ihr politisches Angebot nur auf Städter zugeschnitten ist“
Sie messen die Urbanität einer Stadt oder eines Viertels anhand der dort lebenden Künstler:innen – auch die Tendenz progressive oder grüne Parteien zu wählen, ist dieser Berufsgruppe eingeschrieben. Muss das Land mehr Künstler anlocken, um progressiver zu werden? Oder konstruktiver gefragt: Was muss progressive Politik am Land leisten, damit sich die Bevölkerung nicht von urbanen Gebieten abgehängt fühlt?

Im Gegenteil! Das mit dem Anlocken der Künstler könnte regelrecht nach hinten losgehen. Künstler führen ein urbanes Leben. Es ist eine Schwäche der Linken, dass ihr Angebot für den ländlichen Raum vor allem diese Gruppe anspricht. Dass es dann lautet „Jeder soll so leben können, wie in Berlin oder Wien”. Aber die Leute am Land wollen das gar nicht alle! Und dafür bräuchte die Linke und bräuchten progressive Kräfte ganz generell auch andere Ideen und andere politische Antworten für’s Land.
So ist es nämlich kein Wunder, dass bei den Landbewohner:innen das Gefühl einer Zurücksetzung in ihrer Anerkennung auftritt. Dass die progressiven Parteien nur politische Angebote für die Stadt haben, macht etwas mit dem Status von Menschen, die am Land zuhause sind.
Das ruft das Gefühl hervor “Meine Biografie ist weniger wert, weil ich vom Land komme”.
Statt wirkliche Lösungen für’s Land zu haben, versprechen linke Parteien dann etwa: “Ihr da draußen bekommt jetzt auch eine Universität.” Oder „Wir schließen euer Öffi-Netz an die Stadt an.“ Und es gibt sicher einen Teil der Bevölkerung am Land, der das sehr begrüßen würde. Aber linke und progressive Parteien müssen mehr Offenheit dafür entwickeln, dass sie nicht davon ausgehen dürfen, dass eigentlich jeder gerne ein städtisches Leben hätte.
Was konkret muss progressive Politik am Land denn dann anbieten, damit sich Landbewohner eben nicht abgehängt fühlen?
Es gibt bei progressiven Parteien viel Optimismus, dass es nur darum ginge den Lebensstandard am Land zu heben. Dass man ein gut ausgebautes Öffi-Netz bräuchte, dass man überall Kinderbildungseinrichtungen und ausreichend Ärzt:innen haben möchte. Das braucht es natürlich auch, das will ich nicht abstreiten. Doch vielmehr müssten progressive Parteien, wenn sie am Land erfolgreich sein wollen, die Selbstwirksamkeit von Bewohner:innen am Land stärken. Menschen wollen mitbestimmen – gerade in Regionen, die vermeintlich abgehängt sind.
Tatort Gemeindeamt: Jede 2. Gemeinde in OÖ könnte 2025 vor finanziellem Ruin stehen
Ich gebe ein fiktives Beispiel: Wenn man einen bestimmten Topf an finanziellen Ressourcen zur Verfügung hätte, dann gäbe es nun zwei Möglichkeiten damit umzugehen: 1. das Geld her zu nehmen und das Dorf ans Eisenbahnnetz anzuschließen oder 2. das Geld der Dorfbevölkerung frei zur Verfügung zu stellen. In so einem Fall, würde ich ganz klar Zweiteres empfehlen. So kann die Bevölkerung selbst entscheiden, was sie mit dem Geld machen möchte und was sie gerade wirklich braucht.
Die Finanzlage vieler österreichischer Gemeinden ist gelinde gesagt miserabel. Was kann/soll oder muss soziale Politik Ihrer Meinung nach anbieten, um Menschen sowohl in der Stadt, aber vor allem auch am Land zu überzeugen?
Man muss nicht in Fatalismus verfallen, nach dem Motto wir haben kein Geld. Es geht wie gesagt stärker um die Wahrnehmung von Menschen mitbestimmen zu können. In Deutschland und bestimmt auch in Österreich gibt’s viele Initiativen zur Dorfbelebung. Vieles davon geht auch ohne prall gefüllte Gemeindekassen.
Wenn Institutionen wie ein Wirtshaus, ein Sportverein oder die Ortsfeuerwehr fehlen, dann können sich die Leute am Land nirgends mehr treffen. Sie und andere Wissenschafter:innen konnten zeigen: wenn es zu wenige Orte für gesellschaftlichen Austausch gibt, dann schwächt das unsere Demokratie. Wenn der politische Diskurs fast ausschließlich im Netz stattfindet, ist das ein Problem. Provokant gefragt: Sind Wirtshausgeher die besseren Demokraten? Sollte die Lokalpolitik die Wirtshäuser wieder beleben?
Es ist viel schwieriger, etwas, was einmal verloren gegangen ist, wieder ins Leben zu rufen. Das Wichtigste, was man tun muss: überall da wo es soziale Treffpunkte noch gibt, muss man das unterstützen, dass das nicht verloren geht. Da wo’s nix gibt, etwas hinzubringen, ist super schwierig. Das, was da ist, muss man unbedingt erhalten.
Es lässt sich bestimmt sagen: Nach der Arbeit schauen viele eher ins Handy, statt ins Gasthaus. Wenn Sie ins Wirtshaus gehen und dort mit Leuten ins Plaudern kommen oder auch politische Gespräche führen, sind Sie sicher der bessere Demokrat, als wenn sie zuhause alleine am Handy rumhängen.
Die NeueZeit ist das einzige progressive Regionalmedium in ganz Österreich. Warum sind Lokalmedien gerade für die Bevölkerung am Land so wichtig?
Aus 3 Gründen: Das hat 1. mit der “weiten Welt” zu tun. Lokalmedien schaffen es, dass sie weltweite Geschehnisse in die Lebenszusammenhänge vor Ort übersetzen können. Und dabei macht’s einen Unterschied ob die Berichterstattung von Leuten aus den Bundeshauptstädten wie Wien oder Berlin kommt oder ob die Zeitung von Leuten gemacht wird, die eine Ahnung vom Leben am Land haben.
2. Regionalmedien erleichtern es uns sich mit Gleichgesinnten zu organisieren. Ein Lokalmedium ist ein Ort, wo eine Gemeinschaft miteinander diskutieren kann. „Ah, das was ich als Problem empfinde, wird auch von anderen als Problem wahrgenommen.“
3. Auch die, die mir nicht gleich gesinnt sind, erscheinen mir in einem Leserbrief nicht so verrückt, wie im Internet. Mit jemandem, der in einem Leserbrief auftritt, ist es viel einfacher in einen Austausch zu kommen, als nur digital in einer Kommentarspalte.
Dasselbe leistet ja auch ein Wirtshaus, oder ein Spielplatz am Dorf – ich treffe nicht nur die, die nicht so sind wie ich. Und dann bemerkt man:
So riesig ist der Graben zwischen mir und den Andersdenkenden ja doch nicht.
Das Interview führte Romana Greiner. Das im Gespräch angemerkte Buch „Stadt, Land, Frust. Eine politische Vermessung“ von Lukas Haffert kann sie vor allem für Kommunalpolitiker:innen und an Gemeindepolitik interessierte Leser:innen empfehlen. Hier kann man es direkt beim Verlag erwerben, hier kann man es gebraucht kaufen.
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